Marigold

Eine sowohl süßlich flüchtiger, als auch schmerzhaft physischer Romantikfilm aus der Umgebung eines Schlachthauses, in welchem die scheue Kreation Alexandra Borbélys dominiert, mitsamt der ruhigen, ansehnlichen Kameraführung von Máté Herbai sowie der Fähigkeit in einer Umgebung, in der Tiere getötet werden und wo Fleisch portioniert wird, eine gar überraschend fragile sowie lyrische Atmosphäre zu schaffen, in der zwei Seelen den Weg zueinander finden. Ildikó Enyedis lange andauernde kreative Pause hat sich wahrscheinlich am leichteren Kampf mit dem Rhythmus nur ein wenig ausgewirkt, jedoch diese zurückhaltende Debatte über die Grenzen des Körpers sowie die Freiheit der Seele sorgt auch so immer noch für eine tiefgehende Erfahrung.

Die Konzeption von Zeit und Raum verhindert, dass Dunkirk wie ein unterernährtes Drama mit flüchtig geschaffenen Charakteren aussieht, die wiederum mehr zugewiesenen Erzählfunktionen (wie Branaghs skulpturale Erklärung) ausführen, als irgendwelche tiefergenden Gedanken zu verkörpern. Am Ende gelingt es Dunkirk trotz all dessen Bemühungen um Objektivität nicht, pathetische Worte oder vorzeitige dramaturgische Abkürzungen zu meiden. Der Krieg hatte lange Zeit keinen solch boomenden und quietschenden physischen Schimmer gehabt. Leider sind die gerissenen Trommelfelder das einzige, was mir am nächsten Tag noch übrig bleibt. Meiner Ansicht nach handelt es sich eher um eine edle Nachahmung, die aus allen Rohren feuern muss, um die innere Leere und den Mangel an Nuancen zu übertönen. Je größer der Ehrgeiz, den Nolan bei der perspektivischen Erzählarbeit an den Tag legt, desto zweifelhafter sind die Ergebnisse. Einen bescheidenen, jedoch psychologisch und narrativ gesehen unglaublich funktionalen sowie agilen perfekten Prestige - Meister der Magie zu kreieren bleibt hier ein unerreichbares Ziel. Dunkirk ist ein auffällig kreatives Manöver, das eine große Welle um sich herum erzeugt. Es gelingt ihm jedoch nicht, in die Tiefe vorzudringen.

Roy Anderssons Einfluss mitsamt dessen alltäglichem tragikomischem Fragment ist stark, jedoch Östlund ersetzt die Theaterstilisierung und Schminken durch einen sehr klaren sozialen Background und Dokurealismus. Locker miteinander verknüpfte und Göteborgs Alltag abbildende Anekdoten weisen auf die "parallele Realität" der streng geordneten schwedischen Gesellschaft hin, die hier sowohl von einem faulenzenden mongoloiden Jungen mit einer Gitarre als auch von einer Bande vertreten wird, die Fahrräder zerstört. Der Erzählstrang mit einer geistig behinderten Frau, die vergeblich nach ihrem Fahrrad sucht, um es schließlich an einer Lampe zu finden, hat alles in sich, was Östlund ausmacht. Eine Poesie der Eitelkeit des Lebens übersetzt in die Alltagssprache.

Eine phänomenal konstruierte Sache, die ungewöhnlich hohem Maße darauf achtet, den Prozess des Jahrhunderts sowie den Medienzirkus in einem sozialen Kontext zu halten und Simpson aus verschiedenen Blickwinkeln darzustellen. Infolgedessen wird das Juice-Phänomen klar als eine Mischung aus amerikanischem Traum, rassenbedingter Spannung, einer Vorliebe zur souveränen Selbstdarstellung und anderen Zutaten entlarvt, die im damaligen Kontext zu überraschenden sozialen Reaktionen geführt haben. Edelmans Dokumentarfilm fungiert somit als Charakterstudie, als juristische und soziale Chronik, die verständlicherweise beunruhigende Fragen nach dem Missbrauch von Rasse und Gerechtigkeit beim Umgang mit Feindseligkeiten aufwirft, die viel tiefgründiger sind als ein ungeklärter Doppelmord. Einfach hinreißend.

Vier Sterne aus Liebe zu Caesar und wegen des Respekts vor Matt Reeves‘ Mumm, einen Film zu drehen, der größtenteils auf Stille, Gesten und Langsamkeit aufbaut. Leider führt der Versuch, sich den Höhepunkt der Trilogie nicht zu schnell zu erreichen, dazu, dass der Film ihn vollends verschläft. Es fehlt hier an einem starker Gegner der Marke Koby (na ja - der Film muss ihn auch irgendwann zumindest als Erscheinung herbeibeschwören), Woody Harrelson ist sehr figurenhaft, wirkt wie eine einfache Schablone, eine Lightversion des Colonel Kurtz, die echter Dämonen entbehrt. Der Anfang besticht auch durch den erfinderischen Minimalismus Michael Giacchinos und Seresins detailorientierter Kameraführung mit variabler Schärfentiefe, die zweite Prison-Break-ähnliche Hälfte zieht sich leider hin, es fehlt ihr an Energie und einem sie stützenden Dilemma. Der Rätsels Lösung ist zwar einfallsreich und passt zum Schlüssel der gesamten Trilogie, jedoch die versprochene Affen-Apocalypse ist bei weitem nicht so schicksalhaft und überwältigend, wie es die Trilogie verdient hätte, der es gelingt, die Menschlichheit fantasievoll auf die Affen zu übertragen. Einen Triumph stellt somit lediglich die einfach unglaublich detaillierte und präzise Animation/das Schauspielerische aller Beteiligten dar. Leichte Enttäuschung. [70%]

Als Regisseur sucht Taylor Sheridan noch ein bisschen nach seinem eigenen Stil und einem optimalen Erzählrhythmus, als Drehbuchautor arbeitet er (wieder) abermals ausgezeichnet. Ähnlich wie es bei Sicario und Hell or High Water der Fall war, entsteht hier ein weiteres raues Ambiente, bei dem es erscheint, als sei es ein wenig abseits unserer Realität. Und genau wie bei Sicario wird in diese Umgebung eine etwas naive Frau hineingeführt, die einen Fremdenführer und Initiatoren benötigt, um darin zu überleben. D.h. die Herzen orthodoxer Feminismusfans wird der Film Wind River nicht rühren. Wyoming stellt hier vor allem einen Ort der Trauer, Verzweiflung sowie verschwindender Traditionen dar, eine schneeweiße Leinwand des Elends und der Hingabe, eine Landschaft mit Jägern und Trackern, in der Frauen spurlos verschwinden. Sheridan fügt dem Detektiv-Thriller Schema eine persönliche Geschichte über eine Versöhnung, über die Akzeptanz einer Welt, in der "Glück in den Städten weilt" und die Menschen draußen höchstens dafür ausreichend Zeit haben, um zu trauern und in Verzweiflung zu geraten. Jeremy Renner ist bewundernswert, geht sparsam vor wie ein Jagdtier und ist zugleich verletzlich, sofern er den Überblick verliert. Er liefert hier die beste Leistung seiner Karriere ab, daran habe ich keinen Zweifel. Sheridan bereitet so langsam den Boden für den letzten Akt, der weder in einer Schießerei noch in einer harten Retrospektive endet, sondern mit einem abschließenden Dialog, in dem alles Wesentliche verborgen bleibt. Es geht um Menschen, die auf Boden leben, der ihnen gestohlen worden ist, sie verlieren die Bindung zu ihren Vorfahren, sie haben keinerlei Aussicht auf eine bessere Zukunft. Was bleibt ist lediglich ihre Trauer, die akzeptiert werden muss. Wind River ist ein melancholisches Filmporträt eines Ortes, eine Action-Genre-Version von Manchester by the Sea. Sheridan schreibt Worte, Landschaften und Charaktere nieder, die mich tief berühren. Es ist in der Tat sehr schade, dass tschechische Zuschauer Wind River in einheimischer Distribution nicht zu sehen bekommen ...

Ben Young ist gezwungen, die Intensität der Erfahrung eher formal zu simulieren, anstatt sie tatsächlich zu erreichen. Dieses potentiell zerreißende Drama verwandelt sich unter seinen Händen in eine eher leere und apathische Form, von der sich hauptsächlich schauspielerische Darbietungen und ein dröhnendes Sounddesign abheben. Jedoch nach dem um ein ganzes Level besseren Snowtown, würde ich aus dieser mörderischen Ballade kein allzu großes Ereignis machen.

TV-orientiert, jedoch thematisch sehr relevant - Silhol hat Pech, dass Stephane Brizé sich mit einem ähnlichen Thema im Film Der Wert des Menschen befasst hat, und natürlich übertreffen die Dardenne-Brüder ihn mit ihrem Zwei Tage, eine Nacht gleich um mehrere Levels. Sein Film erinnert vor allem gegen Ende eher an eine gewissenhafte Recherche zum gegebenen Thema mitsamt eines lehrreichen moralischen Höhepunktes. Jedoch die Performance von Céline Sallette und Lambert Wilson verleiht dem Streifen die nötige Energie.

Dezent, relativ elegant aufgebaut, vom Schauspielerischen her überzeugend. Ein Film, welcher mit der These arbeitet, dass eine geteilte emotionale Bindung zu einer fehlenden dritten Person manchmal stärker sein kann als die sexuelle Ausrichtung. Ich weiß die Art und Weise, wie Graizer die Tücken melodramatischer Klischees und des Pathos meidet und einige wesentliche Dinge offen lässt zu schätzen (siehe die wundervolle Episode mit seiner Mutter). Vor allem Tim Kalkhof mit seiner robusten Figur, jedoch einer äußerst subtilen und bescheidenen durchgeführten schauspielerischen Leistung sind die treibende Kraft dieses Films. Bittersüße Klavieretüden - das ist ein Genre und ich respektiere es. Sicherlich in dieser Form. Als Koscher zugelassen.

Wenn du den Rhythmus in dir trägst, hast du noch keinen Film. Es kann eine mitreißende Fahrt mit Vollgas sein, aber gegen Ende schaltet der Motor in den Leerlauf. Das Problem mit der fehlenden Geschichte und den langweiligen Charakteren bringt es schließlich an den Rand des Standstreifens.