Sodom und Gomorrha

Der Film Sodom und Gomorrha kann auf viele Arten gelesen werden. Als großer Inflationsfilm, als europäischer Film des zukünftigen Michael Curtiz, als Parallele zu allen anderen europäischen Inflationsfilmen, als Moralstück, als biblischer Spiegel... Als unerfüllter Höhepunkt der Wiener Karriere von Anny Ondráková und Karel Lamač. Es gibt aber auch den Aspekt der drei Freunde, die aus dem ungarischen Film kamen - Manó Kertész Kaminer, Svetislav Petrovic und Ilonka Kovács. Mit Hilfe eines Umzugs in den deutschen Sprachraum wurden sie zu Mihály Kertész, Ivan Petrovich und Lucy Doraine. Ivan ging bald seinen eigenen Weg, man kennt ihn vielleicht als Partner von Ondráková, Novotná oder Ita Rina kennen. Doraine und Kertész waren jedoch bereits 1923 verheiratet, ihre Karriere war bis zu diesem Zeitpunkt ausschließlich mit seinem Werk verbunden. Nach der Scheidung zog sie zu Emelko nach München, und obwohl sie beide nach Hollywood gingen, arbeiteten sie nie wieder zusammen. Deshalb kann dieses Spektakel als Abgesang auf eine gemeinsame Karriere gesehen werden. Das Scheitern von Doraine im Tonfilm und ihre Verwandlung in Lots Frau hat etwas Symbolisches - und sei es nur aus purer Angst vor dem Scheitern. Aber Sodom ist sicher kein passiver Film wie Intolerance und viele andere, im Gegenteil, er schwelgt in all den schauspielerischen Aktivitäten, die der Generation von Dr. Mabuse eigen waren, und das ist etwas Großartiges. Die Kostüme, die Dekadenz und natürlich der Sex, der in jedes einzelne Bild eingewoben ist. Das ikonische Doraine-Kostüm mit seinem reichhaltigen räumlichen Mosaik aus Perlen driftet zwar ab in etwas aus dem Leben der Insekten, ist aber umso schöner. Dies gilt umso mehr, als sie vor der Zerstörung von Sodom und Gomorrha ein sehr ähnliches, aufwändig konstruiertes Kostüm in gefiederter Version trug - was die beiden Figuren miteinander verbindet. Und das Konzert! (95 Minuten der restaurierten FAA-Fassung, veröffentlicht auf DVD in der Edition der Standard) (27.03.2013)